Wer seidt ihr, holde Frauen?
Wie weilt ihr so allein
In dieser Wildniß Grauen,
Um Trümmer und Gestein?
Habt ihr vielleicht verloren
Den Pfad aus Unbedacht?
Ihr seidt nicht hier gebohren
Nach eurer fremden Tracht;
„Ihr Jungen! Wohl hienieden
Ist unsres Wesens nicht,
Längst sind wir abgeschieden
Von dieser Erde Licht,
Die Körper sind vor langen
In Grüften schon verweßt,
Die Geister sind gefangen,
Bis einer sie erlößt,
Denn wißt, in tiefen Gründen,
Der Menschen Aug versteckt
Ist hier ein Schaz zu finden,
Wohl dem, der ihn entdeckt!
Den Schaz sind wir zu hüten
Auf diesen Plaz gebannt,
Wollt ihr uns Lösung bieten,
Es steht in eurer Hand,
Tief, wo des Berges Rücken
Sich senkt, da werdet bald
Einen Ahorn ihr erblicken,
Den einz’gen hier im Wald,
Ihn flink gefällt, und säget
Zu einer Wiege Schrein
Den hohen Stamm und leget
Ein schuldlos Kindlein drein!
Habt ihr mit reinen Händen
Das Werk sodann vollbracht,
Wird unser Bann sich enden,
Nach langer Quaalen Nacht;“
Und als sie dies mit Wimmern
Gesprochen, war’n die Frau’n
Verschwunden von den Trümmern
Und nirgends mehr zu schau’n;
Die Jungen floh’n mit Grausen;
Der Geister kläglich Fleh’n
Schien ihnen noch im Sausen
Der Tannen nachzuweh’n,
Rauscht nur ein Blättchen nieder,
Sah’n sie im Fieber-Wahn
Die Geister-Frauen wieder
Vom Berg herab sich nah’n,
Doch mählich schwand den Sinnen
Die Furcht, es zog zum Wald,
Das junge Volk von hinnen
Und fand den Ahorn bald,
Daß Bret an Bret sich füge,
Ward flink der Stamm zersägt,
Gezimmert ward die Wiege,
Die Unschuld drein gelegt,
Und als es so geschehen,
Als es die Frau’n begehrt,
Sah man der Schalksburg Höhen
Des Abends hell verklärt,
Der grauen Thürme Bogen
Mit ihrem düstern Grün
Sah man von Glanz umzogen
In Purpur-Roth erglüh’n,
Und in dem Purpur wallten
Die Geisterfrau’n darauf
In hehren Licht-Gestalten
Erlöst zum Himmel auf,
Sie barg in hohen Lüften
Des Aethers blauer Flor,
Die Burg mit ihren Klüften
Lag öde, wie zuvor.
- Rudolf Magenau. Abbildung aus Wikimedia Commons, Benutzer Kdkeller.
- Ausschnitt aus einem Kupferstich von Matthias Merian (1643), Balingen mit Schalksburg. Abbildung aus Wikimedia Commons, Benutzer Wuselig.
- Titelblatt von: Poetische Volks’-Sagen und Legenden. Stuttgart 1825.
Die Ballade von den Geisterfrauen auf der Schalksburg bei Balingen stammt aus dem 1825 herausgegebenen Band „Poetische Volks’-Sagen und Legenden größtentheils aus Schwaben“ von Rudolf Magenau, dem ersten expliziten Sagenbuch in Württemberg.
Der Verfasser ist in erster Linie als ein Jugendfreund Friedrich Hölderlins bekannt, mit ihm und Christian Ludwig Neuffer gründete er zu Tübinger Stiftszeiten einen Dichterbund. Später wirkte Magenau lange Jahre als Pfarrer in Niederstotzingen und Hermaringen im Brenztal. Neben seinem Hauptberuf veröffentlichte er zahlreiche lokalhistorische, pädagogische und poetische Schriften.
Den Stoff zu der Ballade hat Magenau Gustav Schwabs gern gelesenem Reiseführer „Die Neckarseite der Schwäbischen Alb“ von 1823 entnommen. Schwab wiederum hatte die „Sage von der Schalksburg“ nach eigenen Angaben von einem Wirt in Lautlingen gehört. Magenau, der selbst mit Schwab in Kontakt stand, hielt sich mit seiner lyrischen Version recht eng an dessen Prosavorlage.
Ausführliche Erläuterungen
Jiří Hönes – Rudolf Magenau: Die Frauen auf der Schalksburg (2012, überarbeitete Fassung 2017)
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Zum Autor
Jiří Hönes – Rudolf Magenau – Autor des ersten württembergischen Sagenbuchs (2012, überarbeitete Fassung 2017)
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Downloads
Die Frauen auf der Schalksburg (Poetische Volks’-Sagen und Legenden)
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Die Frauen auf der Schalksburg (Schwäbische Sagen und Geschichten)
[PDF]
Gustav Schwab: Sage von der Schalksburg (Die Neckarseite der Schwäbischen Alb)
[PDF]
Links
Wikipedia: Rudolf Magenau
Wikisource: Rudolf Magenau, Quellen und Volltexte
Quelle
Rudolf Magenau: Poetische Volks’-Sagen und Legenden größtentheils aus Schwaben.
F. E. Löflund und Sohn.
Stuttgart 1825.
S. 59–62.
[Google Books]
Der ausführliche Artikel zur Ballade ist zudem in leicht veränderter Form im August 2015 in den „Heimatkundlichen Blättern Zollernalb“ erschienen.