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Rudolf Magenau: Das Schlößlein zu hohen Entringen

Volks-Sage

Hier, wo vom Berge nieder
  Das alte Schlößlein schaut,
Da wohnten einst fünf Brüder
  In Eintracht, gar vertraut,

Sie hatten Hundert Kinder,
  – Ein seltnes Ehe Pfand! –
Auch die umschloß nicht minder
  Der Liebe süßes Band.

Jedweden Morgen wallte
  Der Kinder fromme Schaar,
Sobald das Glöcklein schallte,
  Zum Kirchlein Paar und Paar.

Drob jeder sich ergötzte,
  Wenn schon das erst’ im Chor,
Trat auf dem Berg das letzte
  Erst aus des Schlößleins Thor.

Manch Weiblein dacht mit Schmerzen,
  Sah sie die Kinder zieh’n,
Möcht’ in der Meinen Herzen
  Auch solche Liebe glüh’n!

Und wenn auch hin und wieder
  Im Volk sich Streit entspann,
Dacht’ man an die fünf Brüder,
  Und schied versöhnt sodann.

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Rudolf Magenau: Die Frauen auf der Schalksburg

Wer seidt ihr, holde Frauen?
  Wie weilt ihr so allein
In dieser Wildniß Grauen,
  Um Trümmer und Gestein?
Habt ihr vielleicht verloren
  Den Pfad aus Unbedacht?
Ihr seidt nicht hier gebohren
  Nach eurer fremden Tracht;

„Ihr Jungen! Wohl hienieden
  Ist unsres Wesens nicht,
Längst sind wir abgeschieden
  Von dieser Erde Licht,
Die Körper sind vor langen
  In Grüften schon verweßt,
Die Geister sind gefangen,
  Bis einer sie erlößt,

Denn wißt, in tiefen Gründen,
  Der Menschen Aug versteckt
Ist hier ein Schaz zu finden,
  Wohl dem, der ihn entdeckt!
Den Schaz sind wir zu hüten
  Auf diesen Plaz gebannt,
Wollt ihr uns Lösung bieten,
  Es steht in eurer Hand,

Tief, wo des Berges Rücken
  Sich senkt, da werdet bald
Einen Ahorn ihr erblicken,
  Den einz’gen hier im Wald,
Ihn flink gefällt, und säget
  Zu einer Wiege Schrein
Den hohen Stamm und leget
  Ein schuldlos Kindlein drein!

Habt ihr mit reinen Händen
  Das Werk sodann vollbracht,
Wird unser Bann sich enden,
  Nach langer Quaalen Nacht;“
Und als sie dies mit Wimmern
  Gesprochen, war’n die Frau’n
Verschwunden von den Trümmern
  Und nirgends mehr zu schau’n;

Die Jungen floh’n mit Grausen;
  Der Geister kläglich Fleh’n
Schien ihnen noch im Sausen
  Der Tannen nachzuweh’n,
Rauscht nur ein Blättchen nieder,
  Sah’n sie im Fieber-Wahn
Die Geister-Frauen wieder
  Vom Berg herab sich nah’n,

Doch mählich schwand den Sinnen
  Die Furcht, es zog zum Wald,
Das junge Volk von hinnen
  Und fand den Ahorn bald,
Daß Bret an Bret sich füge,
  Ward flink der Stamm zersägt,
Gezimmert ward die Wiege,
  Die Unschuld drein gelegt,

Und als es so geschehen,
  Als es die Frau’n begehrt,
Sah man der Schalksburg Höhen
  Des Abends hell verklärt,
Der grauen Thürme Bogen
  Mit ihrem düstern Grün
Sah man von Glanz umzogen
  In Purpur-Roth erglüh’n,

Und in dem Purpur wallten
  Die Geisterfrau’n darauf
In hehren Licht-Gestalten
  Erlöst zum Himmel auf,
Sie barg in hohen Lüften
  Des Aethers blauer Flor,
Die Burg mit ihren Klüften
  Lag öde, wie zuvor.

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