August Stöber: Frau Itta von Lützelburg

Frau  I t t a , die Hex’ Thurme lag;
Drein schimmert kein Stern, drein leuchtet kein Tag.

„Laßt, Männchen, so bat sie, noch  e i n m a l  mich schau’n
Den blauen Himmel, die frischen Au’n!

„Laßt  e i n m a l  mich prüfen in lichten Höh’n,
Ob noch die Geister mein Wörtlein versteh’n!

„Es brennet die Sonne, so sengend, so heiß,
Laßt rufen mich kühlend ein  L ü f t c h e n  leis!“

Herr  P e t e r : „„So sei’s noch, zu meiner Qual!
Doch, ritterlich schwör’ ich’s, zum letztenmal!““

Es öffnet sich knarrend das steinerne Thor,
Frau Itta die Hexe tritt bleich hervor.

Sie steht auf den Zinnen, es flattert ihr Kleid,
Als wären es Schwingen, zum Fliegen bereit.

Sie summet ein Liedlein, sie brummet ein Wort,
Die Geister, sie hören’s und tragen es fort.

Und bald aus den Tiefen, und bald als den Höh’n.
Es stürmet und sauset in grausigem Weh’n.

Es bersten die Felsen, es splittert die Ficht’,
Aus den Wolken ein höllisches Leuchten bricht.

Frau Itta breitet den Mantel aus:
„Lieb’ Männchen, haltet nun selber Haus!

„Das Lüft’chen, es kühl’ euch das heiße Blut,
Doch habt euer festes Schlößlein in Hut!“

Das dröhnt und bebet im Blitzesstrahl,
Und liegt zerschmettert im tiefen Thal.

Die Ballade „Frau Itta von Lützelburg“ erschien 1836 in der lyrischen Sagensammlung „Alsa-Bilder“ der Brüder August und Adolf Stöber. Die beiden Elsässer hatten ihre Sammlung unter anderem Gustav Schwab gewidmet, von dem sie maßgeblich beeinflusst waren. August Stöber (1808–1884) arbeitete seinerzeit als Hauslehrer in Oberbronn in der Nähe von Haguenau. Die Ballade nahm er später zudem in sein „Elsässisches Sagenbuch“ von 1842 auf, das auch Werke zahlreicher anderer Dichter enthielt. In Prosa veröffentlichte er die Sage 1851 in den „Sagen des Elsasses“ unter dem Titel „Die Gräfin von Lützelburg“.

Schauplatz ist die Burg Lützelburg oberhalb des gleichnamigen Orts (heute Lutzelbourg) am Flüsschen Zorn nahe der elsässischen Stadt Saverne, jedoch schon zum Dépatement Moselle in Lothringen gehörig. In den Anmerkungen zu den „Alsa-Bildern“ hat er die Sage ausführlicher wiedergegeben:

„ I t t a , die Gemahlin des Ritters  P e t e r   v o n   L ü t z e l b u r g ,  soll sich den Hexenkünsten ergeben haben und dadurch ihrem Manne manche böse Stunde gemacht, so daß er sie zuletzt in einen finstern Thurm einsperren mußte; sie entkam aber aus demselben durch List. Sie bat ihn nemlich um die Erlaubniß, kraft ihrer Kunst, ein sanftes  L ü f t c h e n  wegen zu lassen, ließ aber, statt dieses, einen gewaltigen Sturmwind blasen, welcher sein Schloß und die Felder der umliegenden Ortschaften verheerte. Den letztern mußte Peter, als Schadenersatz, ein gewisses Recht in seinen Waldungen einräumen; für Itta’s Seelenheil ließ er im Jahr 1126 die Abtei  S t .  J o h a n n  (St. Jean des choux), bei Zabern erbauen. In der Stiftungsurkunde hat jedoch Frau Itta mit unterschrieben.“

Das Nonnenkloster, heute Saint-Jean-Saverne genannt, war ein Priorat des Benediktinerklosters St. Georgen im Schwarzwald. Die Stiftung im Jahr 1126 durch Peter von Lützelburg ist historische Tatsache. Sie erfolgte jedoch ausdrücklich sowohl für sein eigenes als auch für das Seelenheil seiner Gemahlin Itta (Itha), seines Sohnes und seiner Vorfahren. Karl Stenzel hat den in mehreren Abschriften erhaltenen Gründungsbericht des Klosters 1922/23 in der „Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins“ untersucht und editiert. Über Itta (Itha) schrieb er: „Unter seltsamer Verkehrung des geschichtlichen Tatbestandes hat […] die Volkssage sich ihrer Person bemächtigt, um sich auf ihre Weise das Zustandekommen der St. Johanner Schenkung zu erklären.“ Der Sachverhalt liege in Wirklichkeit gerade entgegengesetzt, Gräfin Itha habe ihren Mann lange überlebt und sei gemeinsam mit ihrem Sohn Reginald „bemüht gewesen, alle von ihrem Gatten gegen Klöster und Klerus begangenen Gewalttaten wieder gut zu machen.“ Die Verquickung der historischen Person Itha von Lützelburg mit der Sage hielt er für „recht jungen Datums“. Abschriften des Gründungsberichts, der zahlreiche Grenzbeschreibungen der zur Schenkung gehörigen Güter enthielt, wurden Stenzel zufolge bis ins 18. Jahrhundert hinein immer wieder bei Verhandlungen über Grenzstreitigkeiten als Beweismittel herangezogen. Möglicherweise fand die Gräfin aus dem 12. Jahrhundert von dort ihren Weg in die örtliche Sagenüberlieferung.

Im „Elsässischen Sagenbuch“ ließ August Stöber die Ballade leicht verändert abdrucken, die Anmerkungen blieben weitgehend identisch. Im Gegensatz zu seinen beiden lyrischen Sagensammlungen sollten die 1851 erschienenen „Sagen des Elsasses“ – unter dem Einfluss von Jacob Grimm – wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Dort hat er die Sage ausschließlich in Prosa wiedergegeben und die Anmerkungen deutlich erweitert. Viel näher an der im Vorwort beschworenen „einfache[n], meistens an sich schon so tiefpoetische[n] Erzählungsweise des Volkes“ war allerdings wohl auch diese Variante nicht:

„Frau Itta, die Gattin des Grafen Peter von Lützelburg, war eine böse Hexe, die ihrem Manne das Leben sauer machte. Des vielen Uebels müde, das sie ihm schon angethan hatte, ließ sie Peter endlich in das tiefe, finstere Burggefängniß sperren. Allein es gelang ihr bald, sich aus demselben zu befreien. An einem Sommertage war plötzlich eine solche schwüle, drückende Hitze ausgebrochen, daß Menschen und Thiere lechzten, die Blätter an den Bäumen und Blumen verdorrten. Herr Peter wollte verschmachten. Da ließ ihm Frau Itta sagen, sie wolle ihm Kühlung verschaffen und einen frischen Luftzug herbeizaubern, wenn er sie einige Augenblicke aus ihrem Verließ in’s Freie treten lassen wollte.

Der Graf war es zufrieden und gestattete ihr, sich auf den Schloßsöller zu begeben. Kaum war sie aber daselbst angekommen, so ließ sie einen so gewaltigen Sturm und furchtbares Hagelwetter entstehen, daß die ganze Umgegend davon verheert wurde.

Auf die Klage der benachbarten Ortschaften, deren Felder dabei gelitten hatten, mußte ihnen der Graf bedeutende Rechte in seinen Waldungen einräumen.

Für das Seelenheil seiner Gattin stiftete er später, im Jahr 1126, die Abtei St. Johann.


Wir haben hier wieder eine jener Erklärungs-Sagen, welche das Volk so gerne gibt, wenn es die Entstehung eines Gebäudes, eines Ortes, eines Gebrauchs, eines Rechts nicht kennt und darüber kein Dokument vorhanden ist. Letzteres ist (wahrscheinlich) der Fall hinsichtlich der  W a l d r e c h t e ,  welche einige Ortschaften in den ehemaligen Besitzungen der  G r a f e n  v o n  L ü t z e l b u r g  genossen. Die Geschichte gibt keine andere Veranlassung zu der Sage. Die Stiftungs-Urkunde der Abtei  S t .   J o h a n n  hat Frau  I t t a  mitunterschrieben. Allein im Volksglauben gilt sie noch immer als Hexe und sogar als Meisterin derjenigen Hexen, welche sich bald in einer Felsvertiefung unweit der St. Michaels-Kapelle, bald auf dem Gipfel des Bastberges bei Buchsweiler versammeln.“

Als Quellen hat er hier neben mündlicher Überlieferung die „Antiquités d’Alsace“ von Jean Geoffroy Schweighaeuser angegeben. In diesem 1828 herausgegebenen Altertumsführer ist die Sage etwas anders dargestellt: Itta führt dort den verheerenden Sturm erst aus Ärger über die Gründung der Abtei durch ihren Gatten herbei. Ursache und Wirkung sind also in den beiden Versionen vertauscht. Der Hinweis auf die als Schadensersatz gewährten Waldrechte findet sich auch bei Schweighaeuser, ebenso wie die Anmerkung, Itta habe die Gründungsurkunde des Klosters selbst mitunterzeichnet.

Das Beispiel zeigt anschaulich, wie sich der Umgang mit Sagen um die Mitte des 19. Jahrhunderts änderte: Während Stöber 1836 noch in der Tradition Gustav Schwabs Sagenballaden dichtete, wandte er sich unter dem Einfluss von Jacob Grimms „Deutscher Mythologie“ schon bald der Prosasage mit Erläuterungen zu.

Downloads

Frau Itta von Lützelburg (Alsa-Bilder)
[PDF]

Frau Itta von Lützelburg (Elsässisches Sagen-Buch)
[PDF]

Jean Geoffroy Schweighaeuser: Antiquités d’Alsace (Auszug)
[PDF]

Die Gräfin von Lützelburg (Sagen des Elsasses)
[PDF]

Links

Wikipedia: August Stöber

Wikisource: August Stöber, Quellen und Volltexte

Quelle

August und Adolph Stöber. Alsa-Bilder. Vaterländische Sagen und Geschichten, mit Anmerkungen.
Gedruckt bei Ph. H. Dannbach.
Straßburg 1836.
S. 44–45.
[Bibliothèque nationale de France]

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