Das Kreuz erglänzt, die Fahnen wallen,
Gen Himmel steigt des Weihrauchs Duft,
Drometen schmettern, Hymnen schallen
Durch Frühlings klare Morgenluft.
Die Glocken schlagen laut zusammen,
Es braust der Orgel Lieder-Strom
Und mehr, denn hundert Kerzen flammen
Im hohen gottgeweihten Dom.
Der Bischof mit den Silberhaaren
Erhebt sich segnend von dem Thron,
Sich kreuzend zieh’n die Beterschaaren
Vom Münster zu der Prozession.
Schon wogt das Volk im Festes-Glanze
Durchs hochgewölbte Münsterthor,
Zwölf Jungfrau’n zieh’n im Lilienkranze
Mit weißen Kleidern durch den Chor.
Was glänzet da so klar und helle,
So wunderbar, christallenrein,
An des Altares Marmorschwelle,
Geschmückt mit Gold und Edelstein?
Es ist ein Bild aus alten Tagen,
Vom wem es ist? Man weiß es nicht,
Und nur in manchen Wundersagen
Erwähnung von dem Bild geschicht.
Es war vor vielen, vielen Jahren,
Noch hat der Glaube frisch geblüht,
Als Gott den frommen Christenschaaren
Das wundersame Bild beschied.
Ein Hirtenmädchen, fromm und reine
Einst Morgens auf dem Schloßberg saß,
Rings weidete im Sonnenscheine
Die Heerde durch das grüne Gras.
Da sah ihr Aug ein funkelnd Blitzen,
Noch ahnte sie nicht, was es war,
Doch heller ward im Gras das Glizen
Und wie Smaragd, so ward es klar.
Aus Wolken klang ein lieblich Singen,
Nicht war es ird’sche Melodei
Mit zartgewebten Silberschwingen
Erhoben sich der Tauben zwei.
Das Mägdlein ging, um anzuschauen
Das Wunder; doch es bebt zurück,
Schnell eilt es von den grünen Auen
Verkündend all ihr Heil und Glück.
Ein Crucifix mit gold’nem Glanze,
Von ird’schen Meistern nicht gemacht,
Umblizt von einem Strahlenkranze
Gewahrte sie in selt’ner Pracht.
Was klangen da so hell die Glocken
Vom nahen Münsterthurme her!
Was zog im jubelnden Frohlocken
Zum Berg hinan der Waller Heer!
Was wogten da so licht die Fahnen
Im Morgenduft und Sonnenschein!
Was mochte da ein frommes Ahnen
In jedes Gläub’gen Seele sein.
Vom Berg herab erklang ein Singen
Weit über Thal und grüne Au,
Und in den Lüften war ein Klingen,
Das drang bis in des Himmels Blau.
Der Priester hob die Goldmonstranze
Hoch segnend in der reinen Hand,
Und segnete im Morgenglanze
Vom Berg herab das weite Land.
Da scholl es, wie aus einem Munde:
„Gelobt sei unser Heiland Christ,
Zu dieser gnadenreichen Stunde,
Da solch ein Heil geschehen ist!“
Und unter Sang und Klang der Lieder
Zog man bei gold’nem Sonnenschein,
Mit Kreuz und Fahn’ zur Stadt darnieder,
Zum hohen Dome zog man ein.
Dort steht das Bild seit alten Zeiten,
Es brennt davor ein Ewig Licht,
Woher es ist? Wer will es deuten?
Es sagt es selbst die Sage nicht.
Schon steht’s im Dom seit vielen Jahren,
Und weil’s ein Hirtenmädchen fand,
So ist’s dem Kreuze widerfahren,
Daß man es „Mädchenkreuz“ genannt.
Und wird ’ne Prozession begangen,
Den Mädchen glänzt das Kreuz voran,
Drum zwölf bekränzte Jungfrau’n prangen
Mit weißen Kleidern angethan.
Doch, wo man einst das Bild gefunden,
Da steht anjetzt ein Kreuz von Stein,
Vom einst’gen Wunder soll es kunden,
Der Welt soll es ein Denkmal sein.
Die festlich anmutende Ballade vom „Mädchenkreuz in Freiburg“ erschien am 3. Februar des Jahres 1856 auf der Titelseite der „Freiburger Zeitung“. Ihr Verfasser war der aus Markelsheim in Nordwürttemberg stammende katholische Theologiestudent Kilian Halbmann (1828–1861), der damals eine ganze Reihe solcher Sagenballaden unter dem Titel „Badische Sagen“ in dem Blatt veröffentlichte.
Das besungene Kreuz, ein Scheibenkreuz aus vergoldetem Silber mit hölzernem Kern, befindet sich noch heute im Freiburger Münsterschatz und stammt aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Der Beiname „Mädchenkreuz“ steht in Zusammenhang mit der von Halbmann dichterisch bearbeiteten Sage. Deren frühestes bislang bekanntes Zeugnis ist eine eher beiläufige Erwähnung in der 1846 bei Franz Xaver Wangler anonym herausgegebenen „Beschreibung der Frohnleichnams-Prozession, wie solche alljährlich zu Freiburg im Breisgau gefeiert wird“. Darin wird auf Seite 12 die Reihenfolge der Prozessionsteilnehmer wiedergegeben, wobei das besagte Vortragekreuz genannt wird:
„4) Das schwere silberne Kreuz von eigenthümlicher (Scheiben)Form mit zwei kleinen Fahnen, von welchem die Sage erzählt, daß ein spielendes Mädchen dasselbe auf der Höhe des Schloßberges, in der Nähe des am Kreuzwege stehenden steinernen Kreuzes, gefunden habe und weßhalb es auch jetzt noch
5) den ledigen Frauenzimmern und
6) den Frauen, die nun folgen, vorgetragen wird.“
Fünf Jahre später war die Sage dann in deutlich abgewandelter Form und ausführlicher in Bernhard Baaders 1851 erschienenen „Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden“ enthalten.
Das in der letzten Strophe der Ballade genannte Steinkreuz, das auch bei Baader und in der Prozessionsbeschreibung erwähnt wurde, befindet sich noch heute am Westhang des Schlossbergs. Der Inschrift zufolge wurde es im Jahr 1834 errichtet; unterhalb des Gekreuzigten ist zu lesen: „Maier sculp: 1834“. Eine offenbar später angebrachte Inschrift am Sockel lautet: „Aus Liebe zu ihrem ERLÖSER stiftete dieses Denkmal die ehrsame Küfers-Wittwe THERESIE BENCK geborene MACK im Jahre MDCCCXXXIV.“
Für einen direkten Zusammenhang zwischen der Stiftung des Kreuzes und der Sage gibt es keinen Anhaltspunkt. Möglicherweise gab dieses Kreuz, an dem vermutlich zunächst kein Hinweis auf seine Stifterin angebracht war, überhaupt erst den Anlass dazu, den Fund des Scheibenkreuzes gerade hier zu lokalisieren. Vielleicht ist die ganze Mädchenkreuzsage gar erst nach 1834, motiviert durch die Aufstellung des Kreuzes, entstanden.
Dass die Ballade nicht in Vergessenheit geraten ist, ist dem Freiburger Theologen und Lokalhistoriker Heinrich Schreiber zu verdanken. Dieser nahm sie nebst weiteren Dichtungen Halbmanns in seine 1867 erschienene Sammlung „Die Volkssagen der Stadt Freiburg im Breisgau und ihrer Umgebung“ auf. Der Autor lebte damals bereits seit sechs Jahren nicht mehr, er war während seines Vikariats in Unteralpfen schwer erkrankt und Anfang 1861 während einer Kur in Mergentheim verstorben.
Ausführliche Erläuterungen
Jiří Hönes – Kilian Halbmann: Das Mädchenkreuz in Freiburg (2015, überarbeitete Fassung 2017)
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Zum Autor
Jiří Hönes – Verwaist, mittellos und krank – das schwere Los des Dichters Kilian Halbmann (2015, überarbeitete Fassung 2017)
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Downloads
Das Mädchenkreuz in Freiburg (Freiburger Zeitung)
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Das Mädchenkreuz (Die Volkssagen der Stadt Freiburg im Breisgau und ihrer Umgebung)
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Anonymus: Beschreibung der Frohnleichnams-Prozession, wie solche alljährlich zu Freiburg im Breisgau gefeiert wird. Mit einer kurzen Geschichte über die Entstehung des Festes und sämmtlichen Gebeten und Gesängen bei demselben. Ein Beitrag zu dessen 600jähriger Feier (Auszug)
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Bernhard Baader: Das Mädchenkreuz
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Links
Wikisource: Kilian Halbmann, Quellen und Volltexte
Quelle
Freiburger Zeitung Nr. 29 vom 3. Februar 1856.
Verleger und Drucker: Fr Xav.Wangler.
Freiburg.
S. 1-2.
[Uni Freiburg]
Mein herzlicher Dank gilt allen, die mich in Zusammenhang mit den Nachforschungen zu Kilian Halbmann und seiner Ballade sowie zum Mädchenkreuz mit Informationen und Literaturhinweisen unterstützt haben: Christoph Schmider und László Strauß-Németh vom Erzbischöflichen Archiv Freiburg, Peter Kalchthaler vom Museum für Stadtgeschichte Freiburg, Hans-Peter Widmann vom Stadtarchiv Freiburg sowie Harald Riege von der Bibliothek des Augustinermuseums Freiburg.