Schauplatz der hier vorgestellten Sage ist der Wunnenstein, ein 393 Meter hoher Berg in der Nähe des Großbottwarer Stadtteils Winzerhausen. Er bildet eine weithin sichtbare Landmarke und trennt das südlich gelegene Bottwartal im Landkreis Ludwigsburg vom Schozachtal, dessen Orte dem Landkreis Heilbronn angehören. Hier befand sich bis zur Reformation eine der ersten Kirchen der Umgebung, welche dem heiligen Michael geweiht war. Östlich der Michaelskirche entstand im hohen Mittelalter die Burg Wunnenstein, Das gleichnamige Geschlecht ist vor allem bekannt durch Wolf von Wunnenstein, dem Uhland in seinem Balladenzyklus „Graf Eberhard der Rauschebart“ ein literarisches Denkmal gesetzt hat.
In der Folge entwickelte sich der Wunnenstein im 19. Jahrhundert zu einer Art vaterländischer Gedenkstätte. Schon vier Jahre nach Uhlands Gedichtband erschien 1819 ein Reiseführer mit dem Titel „Der Wunnenstein bei Winzerhausen. Ein Beitrag zur Topographie und Geschichte Würtemberg.“ Hinter dem anonym herausgegebenen Bändchen stand der Winzerhäuser Pfarrer F.A. Scholl. Auf dessen Initiative wurde zudem im Jahr 1823 eine Aussichtsplattform auf den Resten des alten Kirchturms errichtet. Fortan begaben sich zahlreiche Besucher zum Wunnenstein, darunter war 1825 sogar König Wilhelm I.
Scholl war der erste, der die Sage vom der vor Unwetter schützenden Glocke und ihrem Verkauf nach Heilbronn veröffentlichte. Die Stiftung der Kirche durch den vom Kreuzzug heimkehrenden Ritter erwähnte er jedoch mit keinem Wort. Diesen Teil der Sage hat wohl erst der Pfarrer und Lokalhistoriker Karl Friedrich Jäger in seinem 1824 erschienenen „Handbuch für Reisende in den Neckargegenden“ hinzugedichtet. Von dort gelangte der Stoff dann in Ernst Meiers Sammlung „Deutsche Sagen, Sitten oder Gebräuche aus Schwaben“ von 1852, die wiederum Karl Doll als Quelle für seine Ballade angab.
Von der Sage existiert noch eine weitere lyrische Version, Gustav Schwabs 1821 erschienene Ballade „Die Glocke vom Wunnenstein“. Schwab stütze sich offenbar auf die Scholl’sche Variante der Sage, denn bei ihm fehlt die Kreuzzugsepisode. Die Verwendung des Kreuzzugmotivs in der Sage ist ein typisches Beispiel für die Blüten, welche die Mittelalterbegeisterung im 19. Jahrhundert trieb. Gehegt und zelebriert wurde diese wohl eher von gebildeten Autoren wie Jäger als vom Winzerhäuser Landvolk.
Der eigentlich „wahre Kern“ – wenn man es so nennen will – der Glockensage ist die Tatsache, dass der Wunnenstein eine Art Wetterscheide bildet und die Gemarkung Winzerhausen tatsächlich selten von Hagel heimgesucht wird. Dies hat schon die Marbacher Oberamtsbeschreibung 1866 erwähnt.
Ausführliche Erläuterungen
Jiří Hönes – Karl Doll: Glockenheimweh (2014, überarbeitete Fassung 2017)
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Zum Autor
Jiří Hönes – „Ein Sänger des Schwabenlandes“ – der Dichter und Sagensammler Karl Doll (2014, überarbeitete Fassung 2017)
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Downloads
Karl Doll: Glockenheimweh
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F.A. Scholl: Der Wunnenstein bei Winzerhausen (Auszug)
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Gustav Schwab: Die Glocke vom Wunnenstein
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Karl Jäger: Die Glocke auf der Burg Wunnenstein
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Ernst Meier: Die Glocke auf Wunnenstein
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Links
Karl Doll: Online-Werkausgabe
Wikipedia: Karl Doll
Quelle
Karl Doll: Schwäbische Balladen.
Druck und Verlag von W. Kohlhammer.
Stuttgart 1883.
S. 102–106.
[Internet Archive]
Über Karl Doll ist im Juni 2014 beim Kreisarchiv Calw mein Buch „‚Tief unten zieht die grüne Nagoldwelle…“ – Karl Doll. Leben und Werk, Sagen und Sonette“ erschienen. Neben einem ausführlichen biografischen Abriss und der Würdigung seines dichterischen und volkskundlichen Werks enthält es die kompletten „Sonette aus Calw“ und „Sonette vom Schwarzwald“ sowie die Sagensammlung aus der „Alemannia“.
Das Buch ist erhältlich beim Kreisarchiv Calw oder im Buchhandel.
Der biografische Teil dieses Beitrags ist auch auf den gesonderten Seiten über Karl Doll erschienen. Dort finden sich zudem alle seine bislang bekannten lyrischen und volkskundlichen Veröffentlichungen in Form von Transkriptionen und/oder Faksimiles.