Zu Bonndorf auf dem Rathhaus
\nDa h\u00e4ngt ein Gl\u00f6ckchen fein,
\nDas ist vom puren Silber
\nUnd ist\u2019s auch werth zu seyn.
\nUnd wie hinauf gekommen
\nDas k\u00f6stliche Metall,
\nUnd wem sein Klang soll dienen,
\nWill ich berichten all.
\n
\nSchlo\u00df Tannegg an der Wuthach, \u2013
\nJetzt liegt\u2019s in Tr\u00fcmmernacht \u2013
\nWar einst der bange Zeuge
\nVon einer langen Jagd.
\nEs deckte Schnee die Fluren,
\nHell schien die Sonne drein,
\nDas lud die junge Gr\u00e4fin
\nZum Jagdvergn\u00fcgen ein.
\n
\nDurch dunkle Tannen gl\u00e4nzte.
\nDer letzte Sonnenstrahl,
\nDa stiegen Nebelwogen
\nRingsum herauf zumal;
\nUnd durch den Urwald heulend
\nEin Sturm aus Osten zog,
\nDa\u00df dumpf die Eiche krachte
\nUnd sich die Tanne bog.
\n
\nDer J\u00e4gertro\u00df, er irrte
\nZerstreut in Angst umher,
\nDes Jagdhorn Ruf erreichte
\nDie Irrenden nicht mehr;
\nUnd auf den hohen Fluren,
\nWo Weg und Steg verweht,
\nDie Gr\u00e4fin auf dem Jagdro\u00df
\nUm Rettungszeichen fleht.
\n
\nNie hat zuvor ein banges
\nGeschick ihr Herz gequ\u00e4lt,
\nVon Noth und Leiden Andrer
\nHat Niemand ihr erz\u00e4hlt \u2013
\nJetzt f\u00fchlte sie vor Allem,
\nWie es dem Wandrer sey,
\nWenn ihn die Nacht umfange
\nIn solcher W\u00fcstenei.
\n
\nUnd wie der sp\u00e4te Morgen
\nSie in ihr Schlo\u00df gef\u00fchrt,
\nHat sie alsbald dem Burgvogt
\nDen frommen Schlu\u00df diktirt:
\n\u201eNach Bonndorf auf das Rathhaus
\nStift\u2019 ich ein Gl\u00f6ckchen fein,
\nDas soll, zu gr\u00f6\u00df\u2019rer Ehre,
\nVon purem Silber seyn.
\n
\n\u201eDas soll, wenn Schnee und Nebel
\nUnd Nacht den Pilgrim h\u00e4lt,
\nUnd seine Seele bebet
\nUnd seine Hoffnung f\u00e4llt,
\nMit heller Silberstimme
\nUnd tr\u00f6stlichem Gel\u00e4ut\u2019
\nSich n\u00e4chtlich lassen h\u00f6ren
\nDie ganze Winterzeit.
\n
\n\u201eUnd da\u00df nicht Willk\u00fcr frevle
\nAn diesem Willen mein,
\nSo soll das Gl\u00f6ckchen t\u00f6nen
\nAlln\u00e4chtlich um die Neun\u2019,
\nAlln\u00e4chtlich eine Stunde,
\nBis da\u00df mit frohem Zug
\nSich auf dem Acker wendet
\nIm Lenz der dritte Pflug.\u201c
\n
\nDas haben sie gehalten
\nGewissenhaft bis heut;
\nNur eine Stunde sp\u00e4ter,
\nUnd auch zu Sommerszeit;
\nWeil noch in andern Dingen
\nAls Nebel, Schnee und Nacht,
\nMan sich verirren k\u00f6nnte \u2013
\nSo haben sie gedacht.
\n
\n<\/p>\n

\n\t\t\t\t $\"\"$ <\/a>\n\t\t\t<\/dt>\n\t\t\t\t: \n\t\t\t\tDas heutige Rathaus von Bonndorf im Schwarzwald.\n\t\t\t\t<\/dd><\/dl>
\n\t\t<\/div>\n\n
Die Ballade vom \u201eBonndorfer Gl\u00f6ckchen\u201c von Eduard Lynker (1806\u20131863) erschien 1845 im ersten Band von August Schnezlers \u201eBadischem Sagen-Buch\u201c<\/a>. Der Autor war damals Amtsrevisor in Bonndorf im Schwarzwald und war mit Schnezler befreundet. Es handelt sich wohl um die erste schriftliche Version dieser Stiftungssage, die sp\u00e4ter noch mehrmals in Prosa ver\u00f6ffentlicht wurde. Auch eine fr\u00fchere Ver\u00f6ffentlichung der Ballade, etwa in lokalen Zeitungen, konnte bislang nicht nachgewiesen werden.
\n
\nMit \u201eSchlo\u00df Tannegg an der Wuthach\u201c d\u00fcrfte Lynker die Ruine Neu-Tannegg gemeint haben, welche \u00f6stlich des Bonndorfer Stadtteils Boll hoch \u00fcber der Wutachschlucht liegt. Sie wurde im 12. Jahrhundert erbaut und ist seit dem sp\u00e4ten 15. Jahrhundert verlassen. Godefroy Engelmann fertigte 1829 eine Lithografie der Ruine<\/a> an, welche den damaligen Zustand zeigt. Die benachbarte Burg Tannegg oder Alt-Tanegg d\u00fcrfte dagegen schon damals weitgehend abgegangen gewesen sein. Von ihr ist nichts erhalten.
\n
\nDie \u00e4lteste bekannte Prosavariante der Sage ver\u00f6ffentlichte der schw\u00e4bische Volkskundler Anton Birlinger 1874 in seiner Sammlung \u201eAus Schwaben\u201c<\/a>:
\n<\/p>\n
\u201eEin Fr\u00e4ulein aus der benachbarten Burg hatte sich einst im Walde verirrt. Die Nacht brach schon herein und sie hatte den Heimweg noch nicht gefunden. Voll Angst eilte sie durch den Wald und verirrte immer mehr. 3 Stunden lang ging sie; aber dann fiel sie ermattet unter einer Tanne nieder, betete inbr\u00fcnstig zu Gott und gelobte ein silbernes Gl\u00f6cklein stiften zu wollen, alle Nacht den Verirrten den rechten Weg zu weisen. Sieh da klang von Bonndorf her\u00fcber ein Zehnuhrgl\u00f6cklein und sie wu\u00dfte wo aus und wo ein. Sie langte gl\u00fccklich in Bonndorf an, hielt ihr Gel\u00fcbde und stiftete ein silbernes Gl\u00f6cklein, das um 10 Uhr gel\u00e4utet werden mu\u00dfte und schon manchem Verirrten den Weg zeigte.\u201c<\/i><\/p><\/blockquote>\n
\nBirlinger gab an, die Sage aus m\u00fcndlicher Quelle erhalten zu haben. Im Gegensatz zu Lynkers Version ist hier die Burg nicht beim Namen genannt. Statt der Gr\u00e4fin ist es ein Fr\u00e4ulein, das sich im Wald verirrt, von einer Jagd ist ebenfalls keine Rede. Die sp\u00e4teren Versionen, etwa bei Hanns B\u00e4chtold-St\u00e4ubli 1918<\/a> oder Johannes K\u00fcnzig 1930<\/a>, gehen auf diese deutlich volkst\u00fcmlicher anmutende Variante Birlingers zur\u00fcck.
\n
\nDennoch kommt Lynker der Verdienst zu, die Sage erstmals einem gr\u00f6\u00dferen Publikum bekannt gemacht zu haben. Als Beamter in Bonndorf hat er sie sicher vor Ort aus m\u00fcndlicher Quelle erfahren. Unklar bleibt dabei freilich, welche Details er bei der dichterischen Bearbeitung selbst hinzuerfunden hat.
\n
\nDas besagte Silbergl\u00f6cklein soll bereits vor Lynkers Zeiten nicht mehr existiert haben. Birlinger gab an, man habe es gem\u00e4\u00df der Stiftung \u201evor ungef\u00e4hr 40 Jahren\u201c noch gel\u00e4utet. Es sei bei dem Gro\u00dfbrand am 21. Dezember 1827, der tats\u00e4chlich das Bonndorfer Rathaus zerst\u00f6rte, geschmolzen. Interessanterweise hei\u00dft es bei K\u00fcnzig 1930, dass der Brauch des abendlichen L\u00e4utens noch bis in die Achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts aufrechterhalten worden sei.<\/p>\n
Zum Autor<\/strong>
\n
\nJi\u0159\u00ed H\u00f6nes \u2013 Vom Hunsr\u00fcck nach S\u00fcdbaden \u2013 der Dichter Eduard Lynker (2017)
\n[PDF<\/a>]<\/p>\n
Downloads<\/strong>
\n
\nDas Bonndorfer Gl\u00f6ckchen (Badisches Sagen-Buch)
\n[PDF<\/a>]
\n
\nAnton Birlinger: Das Zehnuhrgl\u00f6cklein in Bonndorf
\n[PDF<\/a>]<\/p>\n
Links<\/strong>
\n
\nWikisource: Eduard Lynker, Quellen und Volltexte<\/a><\/p>\n
Quelle<\/strong>
\n
\nAugust Schnezler: Badisches Sagen-Buch. Erste Abtheilung: Vom Bodensee bis zur Ortenau.
\nDruck und Verlag von Creuzbauer und Kasper.
\nKarlsruhe 1846.
\nS. 122\u2013124.
\n[Wikisource<\/a>]
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