Ludwig Egler: Der Gänsefuß im Stadtwappen zu Hechingen

                                          „Sie sind bekannt im ganzen Reiche,
                                        Man nennt sie halt nur Schwabenstreiche.“
                                                                                Uhland.


  Es hat schon frühe Wunder mich genommen,
Wie in das altehrwürd’ge Wappenschild
  Der Zollernstadt ein Gänsefuß gekommen,
Was wohl darin das wunderliche Bild
  Bedeuten möge, was es sollte frommen,
Stets war es in Geheimniß mir gehüllt;
  Und wie ich forschen mochte oder fragen –
  Es konnte Niemand mir die Antwort sagen.

  Da schlich ich einst zu abendlicher Stunde
In’s altersgraue Rathhaus mich, das tief
  In seinem festen, mau’rumwölbten Grunde
Verbirgt ein halbvergessenes Archiv,
  Zu suchen da, ob mir nicht eine Kunde
Könnt’ Auskunft geben, ein vergilbter Brief.
  Der Vollmond ließ soeben in die feuchten
  Gewölbe seinen Silberschimmer leuchten.

  Und wie ich lange forschend da gestanden
Und las in dem vermoderten Papier,
  Erklang die Eisenpfort’ in ihren Banden –
Ein geisterhafter Schauer nahte mir
  Und Angstgefühle meine Brust umwanden.
„Du junger Naseweis! was schaffst du hier?“
  So gellte hohl und dumpfig eine Stimme
  Zu meinem Ohre mit verbiss’nem Grimme.

  Erzitternd wagte kaum ich aufzuschauen –
Sieh, da erhellte sich die schwarze Wand
  In einem Lichte, einem himmelblauen,
Und vor mir ein gewalt’ger Riese stand.
  Es überlief mich noch ein tief’res Grauen,
Als ich erblickte seine Knochenhand.
  Denn die Gestalt erschien mir in dem Bilde
  Urdeutscher Krieger, so barbarisch wilde.

  „Was schaffst du hier?“ So grinst zum zweiten Male
Der fürchterliche Knochenmann mich an –
  Erglühend noch in einem hellern Strahle –
Schon glaubte ich, es sei um mich gethan.
  Zurücke an die Mauer, an die kahle
Mich stützend, sagt’ ich bebend meinen Plan:
  Und sieh, des Mannes Augen freundlich glühten,
  Die eben zornentbrannt noch Funken sprühten:

  „O du, der Erste, den ein solches Streben
Bewog in diese finstre Gruft zu seh’n,
  Darin zu forschen nach der Väter Leben,
Sei ohne Furcht, es soll dir nichts gescheh’n.
  Ich werde selbst dir Rath und Aufschluß geben,
Du sollst nicht lange mehr hier ängstlich steh’n
  Und furchtlos dich mit deinem Forschen quälen –
  Ich will dir alles, was du suchst, erzählen.

  „Ich bin  H a c h u n g u s , meinen Namen kündet
Das Heldenbuch der Alemannen laut.
  I c h  h a b e  d i e s e  g u t e  S t a d t  g e g r ü n d e t ,
Darin das Licht der Welt du einst geschaut.
  Zwar ward sie erst, wo sich die Starzel windet,
Durch’s weite Thal auf eb’nen Grund gebaut;
  Doch da schien es ihr nicht sehr zu behagen,
  Sie ließ herauf sich auf die Höhe tragen.

  „Die Zollergrafen kamen ihr entgegen –
Auch ihnen war die alte Burg zu klein,
  Sie strebten eine neue anzulegen,
Mit der verjüngten Stadt vereint zu sein.
  Bald sah man nun herab auf fernen Wegen
Den Bau erglüh’n im hellen Sonnenschein:
  Das war ein Schloß, so prächtig und erhaben,
  Wie kaum ein Fürstensitz im Lande Schwaben.

  „Die Stadt war angelegt mit vielen Gassen,
Gerad und eckig, wie noch heut zu seh’n –
  Man ließ mit Thürm’ und Mauern sie umfassen,
Damit ihr niemals könnte Leid’s gescheh’n.
  Am Markte war ein großer Raum gelassen –
Ob da vielleicht das  R a t h h a u s  sollte steh’n:
  O diese Frage machte viel Beschwerden,
  Darüber konnt’ der Rath nicht einig werden.

  „Und als er, diese Sache zu berathen
Auf off’nem Markte einst versammelt war –
  Wie sonst die Bürger alter Städte thaten –
Und ihm doch nichts von Allem wurde klar,
  Sieh da, in einem langen Reigen nahten
Harmlose Gänse. Eine aus der Schaar,
  Die Erste, ließ ein solch’ Geschnatter hören,
  Als wollte sie den Rath mit Absicht stören.

  „Der Bürgermeister mit der weisheitsvollen
Bebrillten Nase, wohlgenährtem Bauch,
  Darin sein Witz verborgen, schrie: „Was sollen
Die Gänse hier? Ist das wohl Recht und Brauch
  Den Rath zu stören?“ Zornig aufgequollen
Hob er den Stock, zog seinen Degen auch.
  Und wollte so die Gans zur Ruhe bringen;
  Doch diese floh davon auf leichten Schwingen.

  „Mit ihr der ganze Schwarm. In hohem Tone
Ergriff der Bürgermeister nun das Wort:
  „So lasset uns denn aller Häuser Krone
Das hehre Rathhaus bauen an den Ort,
  Wo die sich niederließ, die uns zum Hohne
Geschnattert, an des Berges Abhang dort.
  Da sei es, wo ihr Fuß gedrückt die Erde –
  Zu Ende dann ist unsere Beschwerde.“

  „Und seinen Beifall, klatschend in die Hände,
Gibt laut der Rath dem Meisterspruch gar schön,
  Im Herzen froh, daß alles nun zu Ende.
So gingen sie zusammen um zu seh’n,
  Wie es sich mit dem Platze wohl bewende
Und wo ihr einstig Rathhaus werde steh’n –
  Da weilt’ die Gans und hob den langen Kragen,
  Als wollte sie: „Was wünscht ihr von mir?“ fragen.

  „Der Platz war gut und Alles stand im Klaren,
Das Rathhaus wuchs heran, ein mächt’ger Bau,
  So wie es jetzt noch steht nach vielen Jahren,
Obgleich zerrüttet nun und altersgrau.
  Und als der Graf des Landes auch erfahren
Den Gänsezwist und ihn erforscht genau,
  Da rief er laut: Ihr Meister aller Schwaben,
  Sollt nun den Gänsefuß im Wappen haben.

  „Seitdem sieht man allhier im Wappen prangen
Den  G ä n s e f u ß . Noch aber weißt du nicht,
  Wie es seit meinem Sterben mir ergangen:
Dies soll dir kurz vermelden mein Bericht.
  Noch trug ich tief nach meiner Stadt Verlangen,
Als mich der Tod entführt dem Erdenlicht,
  Darum ich auch nach ihr den Flug gerichtet,
  Als aus dem Schattenreiche ich geflüchtet.

  „Doch als die Stadt vom alten Platz gewichen
Und nur noch da ein altes Kirchlein stund,
  Da bin auch ich ihr endlich nachgeschlichen,
Mich bergend hier in diesen finstern Grund.
  Jahrhunderte sind nun seitdem verstrichen –
Gar manches sah ich, Manches ward mir kund,
  Die gute Stadt, ergraut in ihren Jahren,
  Hat vom Geschicke vielerlei erfahren.“

  Noch sprach der Geist – als plötzlich seine Worte
Erzitterten, denn von dem Thurme schon
  Schlug Ein Uhr es und durch die Eisenpforte
Entschwand er rasch; auch mich trieb es davon.
  Nicht länger wollt ich weilen an dem Orte,
Wo ich vernahm den dumpfen Geisterton;
  Doch war ich froh der Lösung meiner Frage,
  Dir nun enthüllt ist für die künft’gen Tage.

  Stets wollt ich meine Vaterstadt dich ehren,
Und wenn ich eben dieses Lied dir sang,
  Geschah es nicht im Spott dich zu versehren:
Es ist ja bei den Schwaben so im Schwang,
  Daß gern sie  g e g e n  s i c h  die Streiche kehren.
Ist eine Stadt im Land von gutem Klang,
  Weiß zu erzählen sie bei aller Ehre
  Von sich auch immer eine Schwabenmäre.

Die lange Ballade vom Gänsefuß im Hechinger Stadtwappen erschien im Jahr 1861 in der lyrischen Sagensammlung „Aus der Vorzeit Hohenzollerns“ des Dichters und Seifensieders Ludwig „Louis“ Egler. Er hat damit seiner Vaterstadt ein interessantes literarisches Zeugnis hinterlassen, das sich aus Versatzstücken aus Geschichte, Sage und Dichtung zusammensetzt. Schon der Blick auf das tatsächliche Wappen der Zollernstadt macht den Leser stutzig, denn dieses zeigt keinen Gänsefuß sondern ein geviertes Schild in den hohenzollerischen Farben Silber und Weiß – und das ist bereits seit dem späten Mittelalter nachgewiesen.

Der Dichter war bekanntlich auch als Lokalhistoriker aktiv und sollte später mit der „Chronik der Stadt Hechingen“ die erste Stadtgeschichte seiner Vaterstadt herausgeben. Wenn er also beschrieb, wie er bei Vollmond in den Archivkeller des Rathauses hinabsteigt, so ist dies gewissermaßen eine poetisch verklärte Schilderung seines sonstigen Wirkens. Hachungus, der Erzähler der Binnenhandlung, der ihm dort begegnet, wird andernorts meist Hachingus oder Hecho genannnt. Er war ein Herzog des 8. Jahrhunderts. Der Sage nach hat er die Stadt Hechingen gegründet.

Wenn dieser Hachungus nun über die Stadt erzählt: „Zwar ward sie erst, wo sich die Starzel windet, / Durch’s weite Thal auf eb’nen Grund gebaut“, dann steckt darin zumindest ein Fünkchen historischer Wahrheit. Hechingen wurde als Stadt erst um die Mitte des 12. Jahrhunderts gegründet, die dörfliche Vorgängersiedlung lag wohl im Tal und ist möglicherweise mit der Wüstung Niederhechingen identisch.

Die Annahme, das Hechinger Wappen zeige einen Gänsefuß, wird gemeinhin damit erklärt, dass das im einstigen Rathaus angebrachte gräflich hohenzollerische Wappen früher für das Wappen der Stadt Hechingen gehalten wurde. Zwar sind auch darauf keine Gänsefüße zu sehen, doch wurden die darauf abgebildeten Erbkämmererstäbe, zwei gekreuzte goldene Zepter, wohl als solche missdeutet.

Den Hauptteil der Ballade, die Suche nach dem Bauplatz für das Rathaus, dürfte Egler wohl – inspiriert von zahlreichen ähnlichen Bauplatzlegenden – selbst erfunden haben.

Ausführliche Erläuterungen

Jiří Hönes – Ludwig Egler: Der Gänsefuß im Stadtwappen zu Hechingen (2013, überarbeitete Fassung 2017)
[PDF]

Zum Autor

Jiří Hönes – Ludwig Egler – Seifensieder, Kommunalpolitiker, Redakteur und Dichter aus Hechingen (2012, überarbeitete Fassung 2017)
[PDF]

Downloads

Der Gänsefuß im Stadtwappen zu Hechingen (Aus der Vorzeit Hohenzollerns)
[PDF]

Der Gänsefuß im Stadtwappen zu Hechingen (Mythologie, Sage und Geschichte der Hohenzollernschen Lande)
[PDF]

Links

Wikipedia: Ludwig Egler

Wikisource: Ludwig Egler, Quellen und Volltexte

Quelle

Ludwig Egler: Aus der Vorzeit Hohenzollerns. Sagen und Erzählungen.
Verlag von L. Tappen.
Sigmaringen 1861.
S. 156–161.
[Google Books]


Mein herzlicher Dank gilt Herrn Stadtarchivar Thomas Jauch, der mir Details über das im alten und neuen Hechinger Rathaus angebrachte Wappen mitteilte und das Foto desselben zur Verfügung stellte, sowie Herrn Klaus Graf für seinen Hinweis zur historischen Person Hecho.

Dieser Beitrag wurde unter Ludwig Egler, Schwäbische Alb veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten auf Ludwig Egler: Der Gänsefuß im Stadtwappen zu Hechingen

Schreibe einen Kommentar zu Dr Klaus Graf Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert