August Schnezler: Der Schlangenhof im Schappacher Thal

Im Gute des Bauern dort hinten im Thal,
Da nisten die Schlangen in mächtiger Zahl.

Sie füllen das Haus ihm, den Hof und den Stall
Mit buntem Gewimmel fast überall.

Doch thun sie kein Leids, weder Menschen noch Vieh,
Die friedlichen Leutchen gefährden sie nie.

Sie leben vertraulich mit Herr und Gesind,
Sie leihn sich gemüthlich zum Spiele dem Kind.

Gern nehmen sie Theil an dem ländlichen Mahl,
Da schlürfen sie zierlich die Milch aus der Schal’.

Das Heu in der Scheune, so duftig und weich,
Das ist ihres Königes Sitz und Bereich.

Das Haupt ihm ein goldenes Krönchen umkränzt,
Mit Perl’ und Demant und Karfunkel durchglänzt.

Er wird als Beschützer des Gutes verehrt,
Darin sich die Fülle des Segens vermehrt;

Als hätt’ er’s umzogen mit magischem Bann,
Daß keinerlei Mißgeschick treffen es kann;

Nicht Krankheit noch Seuchen bedrängen es je,
Kein Sturm und Gewitter, kein Hagel und Schnee.

Die Schlangen sie bringen nur Glück in das Haus,
All’ anderen Gütern blüht dieses voraus. –

Als aber der biedere Bauer verstarb,
Ein Anderer käuflich das Hofgut erwarb.

Der war gar ein falscher und geiziger Mann
Und gegen die Schlangen ein wahrer Tyrann.

Ab hieb er dem König das glitzernde Haupt,
Das goldene Krönchen er gierig ihm raubt.

Dann jagt er die Schlangen aus Hof und aus Haus,
Aus Keller und Küchen und Feldern hinaus.

Doch freut er nicht lange des Segens sich mehr,
Der drinnen gewaltet – er büßet es schwer!

Denn Alles verdirbt ihm, als wär’ es verflucht:
Die Heerden, die Gärten, die Wiesen, die Frucht.

Das stattliche Haus, es geräth in Zerfall
Von der Fluth des Gebirgs unterwühlendem Schwall.

Und als er einst Nachts, wie seit lange ja schon,
Sich wälzt auf dem Lager, vom Schlummer geflohn;

Da hört er ein Wispern und Schleichen ringsum,
Ein Zischen und pfeifender Stimmchen Gesumm.

Da ringelt sich’s ihm um den Nacken so kalt,
Umschlingt ihm die Glieder mit Riesengewalt;

Da züngeln viel Hundert von Schlangen ihn an,
Mit betäubendem Odem, mit spitzigem Zahn.

Sie halten mit rächender Wuth ihn umstrickt;
Sein Schreien, sein Röcheln, – bald ist es  e r s t i c k t.



Die schwungvolle Ballade vom „Schlangenhof im Schappacher Thal“ erschien 1846 im ersten Band des vom Autor August Schnezles (1809–1853) herausgegebenen „Badischen Sagen-Buchs“. Die Vorlage dazu lieferte eine von Bernhard Baader aufgezeichnete Sage, die 1837 unter dem Titel „Der Schlangenhof“ im „Anzeiger für Kunde der teutschen Vorzeit“ erschienen war. Schauplatz ist ein in den 1830er Jahren wohl wegen Hochwassergefahr abgebrochener und in einigen hundert Metern Entfernung neu errichteter Hof, der heute den Namen Waidelehof trägt. Am einstigen Standort erinnert noch ein Bildstock an den Schlangenhof.

Schnezler hat sich zwar in manchen Details eng an die Prosavorlage Baaders angeleht, andererseits aber auch bedeutende inhaltliche Veränderungen vorgenommen: Bei Baader wurde der Schlangenkönig vom neuen Hofbesitzer erschossen und nicht enthauptet, den Raub der Krone und die Rache der Schlangen hat Schnezler gar völlig hinzugedichtet.

Als Bernhard Baader 1851 seine Sagen gesammelt unter dem Titel „Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden“ herausgab, beschwerte er sich im Vorbericht über unautorisierte Nachdrucke und „unpassende Aenderungen“, die unter anderem August Schnezler vorgenommen habe. Möglicherweise war gerade die Schlangenhofsage einer dieser Fälle.

Solche Sagen von milchtrinkenden Schlangen sind sehr weit verbreitet. Schon in den „Kinder- und Haus-Märchen“ der Brüder Grimm von 1815 findet sich mit dem ersten der drei „Mährchen von der Unke“ ein solcher Text, auch in Südwestdeutschland sind zahlreiche Beispiele belegt. Was die hier vorliegende Sage jedoch besonders macht, ist die große Anzahl der Schlagen, die den ganzen Hof bevölkern. Dies bescherte ihr gar einen Platz in der zweiten Ausgabe der „Deutschen Mythologie“ der Brüder Grimm, denen die „haus und hof anfüllenden menge von schlangen“ bemerkenswert erschien.

Ausführliche Erläuterungen

Jiří Hönes – August Schnezler: Der Schlangenhof im Schappacher Thal (2013, überarbeitete Fassung 2017)
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Zum Autor

Jiří Hönes – August Schnezler – Postbeamter, Redakteur und Herausgeber des „Badischen Sagen-Buchs“ (2013, überarbeitete Fassung 2017)
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Der Schlangenhof im Schappacher Thal
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Bernhard Baader: Der Schlangenhof (Anzeiger für Kunde der teutschen Vorzeit)
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Links

Wikipedia: August Schnezler

Wikisource: August Schnezler, Quellen und Volltexte

Quelle

August Schnezler: Badisches Sagen-Buch. Erste Abtheilung: Vom Bodensee bis zur Ortenau.
Druck und Verlag von Creuzbauer und Kasper.
Karlsruhe 1846.
Sp. 474–476.
[Wikisource]

Mein herzlicher Dank gilt Herrn Hubert Waidele, der mir zahlreiche Details aus der Geschichte des Schlangenhofs mitteilte und dessen einstigen Standort zeigte.

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